Selbstexperiment Faire Sportswear Teil 3 – Social Auditing

SOZIAL-AUDIT: Verfahren zur Bewertung/Berichterstellung über und Steigerung von Unternehmensleistung und -Verhalten sowie zur Messung ihrer Wirkung auf die Gesellschaft.

Social Auditing; ein Begriff, den viele Menschen wahrscheinlich nicht kennen. Ein Begriff aus der Wirtschaft. Und ein Begriff, der wichtig wird, wenn man über die Themen „Fair Fashion“, „Lieferketten“ und „Kinderarbeit“ reden möchte. Mithilfe dieser Praxis kann ein Unternehmen evaluieren, wie sozial verträglich es agiert und was es für Auswirkungen auf die Gesellschaft, im Beispiel der Modeindustrie, auf die MitarbeiterInnen entlang der gesamten Lieferkette hat. Der Sozial-Audit ist eigentlich dafür gedacht, Licht ins Dunkel zu bringen und dort anzusetzen, wo die Firmen oftmals nicht genug eigene Kapazitäten aufbringen, Menschenrechte in Produktionsfirmen zu gewährleisten. Diese Verantwortung kann so gewissermaßen weitergegeben werden, an Unternehmen, welche es sich zur Hauptaufgabe gemacht haben, die Sozialverträglichkeit zu kontrollieren, Fabriken zu besuchen, Gutachten zu erstellen und Zertifikate zu verleihen. Somit wird der Sozial-Audit eingesetzt, um ein Maß an die soziale Verantwortung eines Unternehmens anzulegen.

Die Gründungen sogenannter „Social Compliance Initiatives“, deren Aufgabe die Durchführung der Sozial-Audits ist, begann als immer mehr Fälle von Kinderarbeit und Arbeiter/innen -Missbrauch in den Produktionsstätten bekannter Firmen festgestellt wurden. Einige dieser „Social Compliance Initiatives“ sind relativ bekannt, findet man ihre Siegel doch gelegentlich auf Websites großer Marken und auf deren Bekleidung.

Deshalb möchte ich ein paar von ihnen nennen, um einen kurzen Überblick zu ermöglichen.

Die größten und bekanntesten sind die Social Accountability International (SAI), die Ethical Trading Initiative (ETI), die Fair Labor Association (FLA) und die Fair Wear Foundation (FWF).

Es existieren noch mehr Organisationen, welche man alle namentlich im 2019 veröffentlichten „Fig Leaf for Fashion Report“ findet. Auch findet man dort sehr gute Informationen und Übersichten zu den bereits genannten Organisationen.

Eigentlich bieten Social Compliance Initiatives auf den ersten Blick einen guten Lösungsansatz des Problems. So scheint es zumindest.

Als ich im Rahmen meiner Suche nach fairer Sportbekleidung auf einige dieser Organisationen stieß, dachte ich für einen kurzen Moment: „Na wenn die Lösung so einfach ist und wenn es doch schon Organisationen gibt, die sich eigens um die Kontrolle der Firmen kümmern, dann werden Probleme wie Kinderarbeit und Ausbeutung sicherlich bald verschwinden.“ Ich war erleichtert, begann mich jedoch gleichzeitig zu fragen, wie dann Unglücke wie der Einsturz der Rana Plaza in Bangladesch, der Brand in der Ali Enterprise Garment Factory in Pakistan oder die täglichen Arbeitsrechtverletzungen in Indien und Vietnam überhaupt zu erklären sind, wo doch all diese Fabriken registrierte Mitglieder führender Social Compliance Organisationen sind.

Auf der Website der „Clean Clothes Campaign”, ein globales Netzwerk, welches sich der Stärkung und Unterstützung von Arbeiter/innen in der Bekleidungs- und Modeindustrie verschrieben hat, fand ich schließlich eine aufschlussreiche Studie über Social Auditing. Hier fand ich Antworten auf die eben genannten Fragen und einen guten Überblick bezüglich der Aufgabenbereiche und Arbeitsweisen der Social Compliance Organisationen. Die gute Nachricht ist: Wenn man gezielt sucht, findet man mithilfe der Reports der Organisationen recht schnell Informationen zu allen möglichen Marken und Firmen. Obgleich die Transparenz insgesamt zu wünschen übrig lässt; zu nennen wären hier undurchsichtige Liefer- und Warenketten, Ungewissheit über tatsächliche Überprüfungen und Einhaltung der im Code of Conduct vorgeschriebenen Richtlinien und die Richtigkeit der erhobenen Daten und Zahlen, im Zusammenhang mit den Untersuchungen, gewähren einem die Berichte der Organisationen einen Einblick in die Firmenkultur und die Produktionsstätten.

Allerdings gibt es viele Kritikpunkte und Mängel, welche die eigentliche Intention der Sozial-Audits zunichtemachen. Das Hauptproblem ist zum einen, dass alle Social Compliance Initiatives „For-Profit Organisationen“ sind. Das bedeutet konkret, sie werden finanziert durch die Mitgliedschaft der Firmen, Registrationsgebühren von Lieferfabriken, Training und Coaching-Gebühren und Spendenbeiträgen der Marken, welche sie vertreten. So kommt unweigerlich der Verdacht auf, Firmen könnten sich Zertifikate mit Geld erkaufen. Wirtschaftlichkeit ist das Hauptaugenmerk und die Organisationen häufen einen enormen Profit mit ihrer Arbeit an. So verschiebt sich der eigentliche Schwerpunkt, der Schutz der Arbeiter/innen, hin zu dem Erwirtschaften von Kapital. Dies geschieht natürlich, wie so oft, auf Kosten der Schwächeren, also den Lieferfabriken und deren NäherInnen. Der „Fig Leaf For Fashion Report“ drückt es so aus:

„Heutzutage, Jahrzehnte nachdem die ersten Social Compliance Initiatives gegründet wurden, hat sich das unternehmensgesteuerte, freiwillige System der Sozial-Audits und der Zertifizierung von Firmen zu einer eigenen millionen-schweren Industrie entwickelt.“

Zum anderen werden die Kontrollen der Produktionsstätten nicht von den Organisationen selbst unternommen, sondern von unternehmensgesteuerten, for-profit Auditing Firmen, wie beispielsweise der TÜV Rheinland, Bureau Veritas oder RINA. Oberste Priorität ist oftmals die Wahrung einer bestimmten Reputation der Marke oder des Produktes. Dabei werden nicht immer gleiche Standards angewendet und es ist sehr schwer am Ende nachzuvollziehen, wie wirkungsvoll die durchgeführten Kontrollen waren, ob die gesammelten Daten und Zahlen der Wahrheit entsprechen und inwiefern Firmen bei der Feststellung eines Mangels überhaupt darauf reagieren. Die prominentesten Beispiele hierfür sind wohl der katastrophale Einsturz der Rana Plaza im Jahr 2013 und das verheerende Feuer in der Ali Enterprises Factory in Pakistan im Jahr 2012. Beide Fabriken waren nur wenige Wochen vor den Unglücken von mehreren der genannten Auditing Firmen geprüft, zertifiziert und als sicher deklariert worden.

Auch kürzlich veröffentlichte Fallstudien, erhoben von der International Labour Organisation (ILO) in 2016 und der Human Rights Watch in 2019, melden Arbeitsrechtverletzungen. Sie zeigten, dass Lieferstätten gezwungen waren ihre Waren unter dem eigentlichen Unkostenpreis zu verkaufen, um von den auftraggebenden Firmen weiterhin Bestellungen zugesichert zu bekommen. Zudem zeigen Recherchen eines Journalisten im Jahr 2016 eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen in der FLA zertifizierten Pou Chen Factory in Vietnam, einschließlich Lohnkürzungen, die klar gegen die FLA Regulationen verstoßen.

„Marken behalten ein oberflächliches System bei, welches die größte Verantwortung im Grunde auf die Produktionsstätten abwälzt und willentlich ignoriert, inwiefern ihr eigenes Kaufverhalten, Handeln und ihre Warenbeschaffung eine große Rolle spielt, hinsichtlich des ArbeiterInnen- Missbrauchs. Das Social Auditing System wie es heute existiert ist ein enormer Bremsklotz für alle Ansätze wirkungsvoller Hilfsmaßnahmen.“

Das durch öffentlichen Druck von Menschenrechtsorganisationen, Arbeitsrechtschützern und Konsumenten/innen geforderte Kontrollsystem, auch „System of Corporate Social Responsibility“ genannt, sollte ursprünglich einen Unternehmenskodex, die Einhaltung grundlegender Arbeitsstandards und die allgemeine körperliche Unversehrtheit der Arbeiter/innen umfassen. In der Realität werden immer noch Mindestpreise, Qualität und Lieferzeiten über die Menschenrechte und die Nachhaltigkeit gestellt. Tatsächlich sind die Arbeitsbedingungen und insbesondere die Bezahlung der Produktionsfirmen, welche kurzzeitig nach dem Unglück in Bangladesch im Jahr 2013 auf ein besseres Niveau gehoben wurden, bis 2018 schon wieder um 13 % des damals gezahlten Betrags gesunken. Zudem wurde wieder ein Anstieg der durchschnittlichen Arbeitszeit um ca. 8 % und eine gesteigerte Überstundenrate, sowie eine zunehmende Arbeitsintensität verzeichnet.

Die ILO (International Labour Organisation) stellte 2015 verschlechterte Arbeitsumstände fest, welche zu einem Abfall der realen Löhne um 6, 5 % seit 2013 führte. Diese Zahlen bestätigte 2019 auch die Organisation „Human Rights Watch“.

Als Fazit möchte ich noch einmal den „Fig Leaf for Fashion Report“ zitieren:

„Das aktuell vorherrschende System der freiwilligen Selbstkontrolle kann das Kontrolldefizit, welches in den Fabriken und entlang der Lieferketten bezüglich Missbrauchs, Ausbeutung und Zwangsarbeit besteht nicht überbrücken. In der Realität wird es dadurch oftmals noch verstärkt.“

Fehlende Transparenz in Lieferketten, unzureichende Überprüfungen und Verstöße gegen den Unternehmenskodex können aktuell nicht hinreichend rechtlich geahndet werden. Organisationen scheitern an der praktischen Umsetzung ihrer eigenen Richtlinien. Somit wird auch den ungeschützten Arbeiter/innen keine praktische Hilfe zuteil.

Doch es gibt auch Ausnahmen und diese gilt es umso mehr zu unterstützen. Konkrete Unterstützung kann jede/r Verbraucher/in leisten!

Informiere dich doch vor deinem nächsten Shopping Trip einfach mal über faire Alternativen zu den großen Modeketten oder recherchiere ihre Produktionsstätten. Folge Unternehmen, die sich für soziale Gerechtigkeit, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und eine faire Bezahlung stark machen, auf ihren Social Media Kanälen und teile ihre Posts. Oder mach deine Freunde/innen und Familie auf die Missstände in der Textilbranche aufmerksam.

So bringst du dich selbst aktiv im Kampf gegen Kinderarbeit und moderne Sklaverei ein, denn als Konsument/innen können wir unglaublich viel bewirken. Und jeder einzelne Mensch zählt.

Teil 4 erscheint am 1. Februar

Geschrieben von Johanna

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Quellen Text:

Clean Clothes Campaign (2019): Bad contracts. Zugriff am 13.10.2020 unter https://cleanclothes.org/bad-contracts.

Clean Clothes Campaign (2019): Fig Leaf for Fashion. Zugriff am 13.10.2020 unter https://cleanclothes.org/file-repository/figleaf-for-fashion-brief.pdf/view.

Onpulson (o.J.): Sozial-Audit. Definition. Zugriff am 13.10.2020 unter https://www.onpulson.de/lexikon/sozial-audit/.

Squeezing Workers’ Rights in Global Supply Chains (2020): Purchasing Practices in the Bangladesh Garment Export Sector in Comparative Perspective.” Review of International Political Economy. 27(2): 320-347.

 

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