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Als Tabea Oppliger an einem verregneten Tag zu einem Seminar mit dem Thema „Menschenhandel und Zwangsprostitution“ in einem Randbezirk des Züricher Rotlichtviertels unterwegs ist, bemerkt sie plötzlich auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Frau. Diese winkt Tabea heran und fragt sie, ob sie Tabeas kleine Tochter, welche gerade erst sechs Monate alt ist und deren Köpfchen oben aus der Jacke hinausschaut, küssen dürfe. Obwohl diese Frau stark nach Alkohol riecht, stimmt Tabea zu, da sie in ihrem Herzen ein unglaubliches Mitgefühl und ein klares Ja zu dieser Frau empfindet, die dort im Regen mit verlaufener Schminke vor ihr steht.
Als die beiden Frauen sich anschließend umarmen, erzählt die aus Brasilien stammende Frau wie sie, entgegen ihren Vorstellungen und Erwartungen, in der Schweiz eine Arbeit als Barkeeperin anfing, um Geld für ihre Kinder zu verdienen, aber in die Zwangsprostitution rutschte, da sie ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen konnte. Ein Schicksal, welches sie mit tausenden Frauen teilt.
Diese Begegnung bezeichnet Tabea Oppliger als einen wichtigen Schlüsselmoment.
Sie ist zutiefst berührt von der Geschichte jener Frau und erkennt in diesem Augenblick all die gebrochenen Versprechen, die Verletzungen und die Enttäuschung in den Augen der Brasilianerin. Heute sagt Tabea: „Diese Augen gingen mir nicht mehr aus dem Kopf.“
Menschenhandel und die Bekämpfung seiner verheerenden Auswirkungen wurden für sie von einem Herzensthema zu einer Lebensaufgabe.
Sie beschließt, dass sie Frauen in der Prostitution helfen möchte, mit dem Stress und der Belastung umzugehen und ihnen, wenn möglich die Chance zu bieten, eine persönliche kleine Auszeit von ihrem oftmals gewaltgeprägten Alltag zu schenken.
Als ausgebildete Masseurin bietet sie den Frauen aus dem Rotlichtmilieu kostenlose Massagen an. Nach einigen dieser Begegnungen wird ihr schnell klar: „Wenn diese Frauen normalerweise berührt werden ist dies nicht sanft, sondern ihnen wird alles geraubt.“
Tabea erkennt, dass die Frauen die zu ihr kommen, kein Mitleid brauchen, sondern einen anderen Job, eine andere Perspektive.
Die großen Lücken im Lebenslauf und die oftmals schlechten Sprachkenntnisse stellen hierbei allerdings eine schlicht unüberwindbare Hürde für die Frauen dar. Also entscheidet sich Tabea dafür konkret zu helfen.
Nach ihrem Umzug, welcher sie mit ihrer Familie von Zürich nach Tel Aviv führt, gründet sie in Israel ein soziales Start-Up. Die Philosophie des Unternehmens vereint den Businessansatz: „Aus Altem Neues machen“ und überträgt diesen auch auf die Menschen, die in ihrem Unternehmen arbeiten.
Tabea sagt dazu: „Wir machen aus ihrem alten Leben etwas Neues. Wir versuchen ihnen eine neue Chance zu geben.“
Mit diesen Leitlinien steigt das Unternehmen in das Upcycling-Business ein. Zuerst recyceln sie alte Europaletten und verwandeln diese in neue Möbel. Nachdem schließlich klar wird, dass für solche Möbel keine ausreichende Nachfrage besteht, sucht Tabea nach einer neuen Inspiration.
Schließlich lernt sie eine Schneiderin kennen, welche aus alten, zerschlissenen Kite-Segeltüchern Taschen näht. Tabea und ihr Mann setzen die simple Idee in ein Start-Up um, woraus sich auch der Name des Unternehmens, KitePride, ableitet.
Das Ziel von KitePride ist es, den Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution eine Arbeit zu bieten, ohne sie auf ihren Lebenslauf und ihre Zeit in der Prostitution zu reduzieren.
Zudem ist Tabea Oppliger Mitgründerin von „GlowbalAct“, einem Non-Profit-Unternehmen, welches sich aktiv gegen Menschenhandel einsetzt.
Die Hauptstandorte von GlowbalAct sind Zürich und Tel Aviv, allerdings expandierte die Organisation 2019 nach Amsterdam, um den Kampf gegen Ausbeutung und Missbrauch auch dort fortzusetzen.
In ihrem Buch „#NOFILTER“ beschreibt sie ihren Kampf gegen moderne Sklaverei, zeigt die harte und ungeschminkte Realität der Opfer und fordert ihre Leserinnen und Leser auf, selbst Initiative zu ergreifen und ihre Träume für eine gerechtere Welt tatkräftig umzusetzen.

„Diese Ungerechtigkeiten, die so riesig sind – entweder sie erschlagen einen oder man sagt: Ich werde jetzt aktiv – es treibt einen an.“